Ausblick 2022: Durchblick im konjunkturellen Nachrichtendschungel

Von Christiane von Berg, Volkswirtin für Nordeuropa War der Herbst 2020 nicht eine schöne Zeit? Ja klar, wir standen wieder vor einem harten Lockdown.

Aber die Nachricht zu wirksamen Impfstoffen ging um und wir Volkswirte dachten, dass wir im Herbst 2021 eine viel klarere Sicht auf die ökonomische Zukunft haben würden. Das war definitiv ein Trugschluss. Um es mit Goethes Faust zu sagen:

„Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor!“ 

Praktisch täglich kommen neue Nachrichten ins Haus geschneit, die den Konjunkturausblick wieder ändern. Das führt dazu, dass manche Prognose gerade mal die Halbwertszeit eines Frühstückseis hat. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass die hier „gewagten“ Prognosen nicht zutreffen werden. Aber wenigstens sollte die folgende Übersicht etwas mehr Klarheit im konjunkturellen Nachrichtendschungel bringen.

 

Konjunkturherbst 2021: Wo stehen wir und wo geht´s hin?

Konjunkturell betrachtet war 2021 für Deutschland ein durchwachsenes Jahr. Wir sind schon mit dem falschen Fuß aufgestanden. Bis April hatten wir mit kleinen Unterbrechungen einen harten Lockdown und dann zögerliche Öffnungsschritte bis in den Juni hinein. Erst ab Juli 2021 kehrte das normale Leben zurück. Aber zu dem Zeitpunkt wurde die starke Belebung des Verarbeitenden Gewerbes schon wieder durch eine starke Verknappung der Inputgüter und hohe Transportkosten ausgebremst. Somit sind wir mit einem Minus des BIP-Wachstums von 2% im ersten Quartal 2021 in das Jahr gestartet und haben danach zwei Quartale mit moderat positivem Wachstum hinter uns gebracht. Das Ganze hat aber nicht ausgereicht, um die Wirtschaft wieder auf Vorkrisenniveau zu hieven. Im dritten Quartal 2021 sind wir noch immer 1,1% unterhalb des Niveaus vom Winter 2019/20. Auch für die kommenden Quartale steht nur ein moderates Wachstum an, unter der Annahme, dass aus einem 2G-Lockdown nicht wieder ein Komplett-Lockdown wird. Erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 sollte die Wirtschaft in Deutschland wieder etwas stärker anziehen, wenn sich die Knappheit an Inputgütern langsam auflöst und das Verarbeitende Gewerbe nicht mehr ausgebremst wird.

 

Die weltweite Knappheit von Inputgütern kommt nicht von ungefähr und ist im Nachhinein (wie so vieles) nicht überraschend. Die Covid-19-Pandemie hat global gesehen die größte Rezession seit dem zweiten Weltkrieg mit sich gebracht. So sind, im Gegensatz zur Finanzmarktkrise 2009, dieses Mal alle Länder der Welt von einer Rezession betroffen und befinden sich daher seit 2021 (mehr oder weniger) alle in einer Erholungsphase. Das bedeutet: Die globale Nachfrage war noch nie so hoch und das Angebot an Inputgütern kann nicht so einfach und so schnell ausgeweitet werden. Zusätzlich verknappt sich auch noch das Angebot selbst durch anhaltend restriktive Corona-Maßnahmen (nicht überall ist man so weit im Impfprozess wie in Europa). Hinzu kommen extreme Wetterphänomene wie Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände etc. Und also ob das nicht schon genug wäre, gibt es da noch die Transportprobleme und China.

China hat eine „Zero-Covid“-Politik angeordnet. Wohl auch, um die Olympischen Winterspiele Anfang 2022 in Peking nicht zu gefährden. Selbst wenn nur wenige Covid-19-Fälle auftauchen, verhängt die Regierung einen Lockdown für ganze Millionenstädte, inklusive deren Häfen. So entstehen Containerschiff-Staus, die sich dann global von Hafen zu Hafen fortsetzen. Das liegt unter anderem daran, dass die Löschung von Ladung gar nicht so einfach ist, wenn die Besatzung, die zwar geimpft ist, nicht von Bord darf, weil deren Impfstoff nicht in der jeweiligen Region anerkannt wird (z. B. chinesischer Impfstoff in der EU). Zu guter Letzt schießt China nun wieder quer, in dem das Politbüro Energie rationiert. Zum einen aus Umweltaspekten (der Himmel über Peking soll zur Olympiade blau sein), zum anderen wegen Lockdown-bedingter Ausfälle bei der Kohleförderung. Dies belastet die Industrieproduktion in China und damit alle Abnehmerindustrien und -länder.  Erst wenn sich die globale Nachfrage beruhigt hat und die Angebotsseite wieder stabil ist und ausgeweitet wurde, sollten die Inputgüterknappheit und damit der entstehende Preisdruck abnehmen.

 

Arbeit und Inflation: Der Druck nimmt weiter zu

Genau diese beiden Aspekte (Güterknappheit und Preisdruck) spiegeln sich auch in der deutschen Wirtschaft wider. Arbeitsmarktseitig läuft es sehr gut für die Bundesrepublik. Die Arbeitslosenquote hat im Oktober 2021 wieder Vorkrisenniveau erreicht. Kurzarbeit kommt nur noch vereinzelt vor, allerdings immer wieder im Automotive-Sektor, wo durch Chipmangel wochenweise die Bänder stillstehen. Davon abgesehen bestimmt der starke Fachkräftemangel den Markt und könnte daher schon bald zu höheren Lohnforderungen führen – vor allem mit Blick auf die derzeitige Inflationsrate. Alleine um diese auszugleichen, müssten die Löhne um mehr als 4% zum Vorjahr steigen. Mehrere Faktoren machen sich hier bemerkbar: Zum einen sind da temporäre Effekte wie die Mehrwertsteuersenkung im letzten Jahr sowie die CO2-Steueranhebung im Januar 2021, zum anderen geben Produzenten und Händler ihre hohen Produktionskosten an die Kunden weiter. Da das letztgenannte Phänomen nicht so schnell vergeht, sollte die Inflationsrate im kommenden Jahr im Jahresdurchschnitt sogar höher ausfallen (3,3% in 2022 nach 3,1% in 2021).

 

Geldpolitik: Wird die EZB reagieren?

Gerade die Inflationsraten bewegen die Europäische Zentralbank sehr. Denn wenn die Konsumentenpreise länger oben bleiben, könnten die Lohnabschlüsse besonders hoch ausfallen und damit eine dauerhafte Preisspirale starten. Dann wäre die EZB spätestens gezwungen, über die Verringerung von Anleihekäufen eine weniger expansive Geldpolitik durchzusetzen. Es dürfte jedoch lange dauern, bis hierfür eine Mehrheit gefunden wird. Wahrscheinlicher ist, dass die EZB die Inflation lange verdrängt, um mit ihrer Politik die Staatsfinanzen vieler Euroraum-Länder zu stärken. Somit bleibt der Einlagesatz auch im Jahr 2022 unverändert niedrig.

 

Unternehmen: Alles Palletti? 

Im Jahr 2021 setzte sich das Paradoxon der niedrigen Insolvenzzahlen fort. Zwar werden einzelne Branchen vom Staat gestützt, in den Umfragen zeigen sie aber keine Zahlungsprobleme an und weisen Insolvenzrückgänge aus. Dieses Phänomen sollte sich so lange fortsetzen, bis der Staat nicht mehr in den Markt eingreift. Bis dahin sind wir aber nicht aus dem Schneider. Denn obwohl die Zahl der Insolvenzen fällt, steigen die Insolvenzschäden. Gemessen an den offenen Forderungen aus Insolvenzen (ermittelt vom Statistischen Bundesamt) hat Deutschland im August 2021 bereits ein Niveau von 44,4 Mrd. Euro erreicht und damit den Wert, der für das Gesamtjahr 2020 zu Buche stand. Das bedeutet: Das Jahr 2021 wird das „teuerste“ Jahr seit 2009 werden, denn es gibt zwar wenige Insolvenzen in Deutschland, dafür aber sehr große. Ein Ende dieses Trends ist auch 2022 nicht in Sicht.

Dieser Beitrag ist in Ausgabe 4/2021 von Der CreditManager erschienen.

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