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10.02.2015
Länder- und Branchenbewertungen

Naher Osten und Nordafrika: Fortschritt nach dem Arabischen Frühling?

Naher Osten und Nordafrika: Fortschritt nach dem Arabischen Frühling?
  • Die Wirtschaft im Nahen Osten und Nordafrika (MENA-Region) kommt wieder in Schwung
  • Starker Wachstumsimpuls in den Ländern des Golfkooperationsrates (GCC) hält an, wirtschaftliche Erholung bei Öl-Importeuren
  • Öl-Exporteure diversifizieren erfolgreich ihre Wirtschaftstätigkeiten, bleiben aber für Budget und Exporteinnahmen stark abhängig vom Öl- und Gasgeschäft
  • Geopolitische Spannungen erhöhen die Risken der Öl-Importeure
  • Marokko und Tunesien profitieren von der Erholung in Europa und sind politisch stabiler

Nach dem politischen und sozialen Aufruhr nimmt die Wirtschaft im Nahen Osten und Nordafrika insgesamt wieder Fahrt auf. 2014 wird für die Region ein Wachstum von 2,6% erwartet. Gestützt auf die Erholung der Weltwirtschaft und Anzeichen einer politischen Verständigung in einigen Ländern der Region, könnte sich das Wachstum 2015 auf 3,2% erhöhen. Damit liegt es allerdings weiter unter dem Durchschnittswert von 5,4% der Jahre 2000 bis 2010.

  

Wachstumsentwicklung Naher Osten und Nordafrika

Wachstumsentwicklung Naher Osten und Nordafrika

Quelle: Coface

 

Die Länder des Golfkooperationsrates (GCC) führen die Wachstumsraten der Region an. 2014 dürfte die Wirtschaft in diesen Staaten um 4,2% zugelegt haben. Für 2015 sind 4,1% zu erwarten. Faktoren dafür sind unter anderen die robusten Aktivitäten außerhalb des Ölgeschäftes sowie große Haushaltsüberschüsse. Mit ihrer Diversifizierungspolitik bauen die GCC-Länder Branchen abseits des Öl-Bereiches auf. Der Anteil des auf Energierohstoffen und -produkten basierenden Geschäftes am BIP sank von 41% im Jahr 2000 auf 33% 2014. Die GCC-Staaten profitieren zudem von einer starken finanziellen Basis, wie den hohen Veranlagungen in Staatsanleihen und einem Außenhandelsüberschuss. Allerdings würde sich der starke Rückgang des Ölpreises 2015 auch auf die Wachstumsaussichten und die Staatshaushalt auswirken.

 

Für die Öl importierenden Länder (Ägypten, Jordanien, Libanon, Marokko, Tunesien) dürften sich die Erholung im Tourismusbereich, die Zuversicht der Investoren und der Export – gestützt durch das Wachstum der europäischen Ländern – positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Zudem haben viele Öl importierenden Staaten nach den sozialen Unruhen Konjunkturprogramme zur Unterstützung der Wirtschaft angekündigt. Das Wachstum dieser Länder wird 2015 bei 3,4% liegen, nach 2,5% 2014. Noch leiden die Staaten sowohl unter der hohen Arbeitslosigkeit, den Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten, als auch unter der hohen Verschuldung der öffentlichen Hand. Die Gesamtsituation verbessert sich aufgrund der wirtschaftlichen Erholung und entsprechender Reformen.

  

BIP Wachtumsprognose

BIP Wachstum

Quelle: Coface

 

Demgegenüber wird in Ländern wie dem Irak und Libyen die wirtschaftliche Entwicklung sehr stark von den aktuellen Unruhen beeinträchtigt. Das BIP des Iraks sollte 2014 um 2,5% schrumpfen, jenes Libyens um 19,8%.

„Die Schere zwischen den Öl exportierenden und Öl importierenden Ländern der Region besteht weiter, wobei die Wachstumsraten beider Gruppen unter jenen der Jahre 2000 bis 2010 bleiben. Den meisten GCC-Ländern ist es gelungen, sich aus den geopolitischen Spannungen herauszuhalten, und konnten so weiter ausländische Investoren gewinnen und solide Wachstumsraten aufweisen. Sie investieren weiterhin stark in Branchen außerhalb des Öl-Sektors, um die Transformation ihrer Wirtschaft voranzutreiben. Zugleich verringern sie so die Verwundbarkeit durch einen starken Ölpreis-Verfall. Daher sind die Coface-Bewertungen des Geschäftsumfelds in diesen Ländern besser. Hinsichtlich Finanzstabilität, Bürokratie und Transparenz ist jedoch noch einiges zu tun. Die Öl importierenden Länder haben dagegen die sozialen und politischen Unruhen unmittelbar zu spüren bekommen. Sie leiden weiter unter politischen Unsicherheiten, hoher Arbeitslosigkeit, hoher öffentlicher Verschuldung, Defiziten in der Leistungsbilanz und fiskalischer Instabilität. Allerdings machen die Länder durchaus auch einige Fortschritte. Sie unternehmen Strukturreformen, um die Finanzen zu stabilisieren und die Bedingungen am Arbeitsmarkt und im Geschäftsumfeld zu verbessern. Tunesien und Marokko werden aufgrund der Erholung in den europäischen Absatzmärkten bessere wirtschaftliche Aussichten eingeräumt,“ erklärt Seltem Iyigun, Coface Economist Middle East and North Africa.

 

Preisvolatilität belastet Öl- und Gasindustrie

Der GCC ist eine auf Öl basierende Region und besitzt die größten Vorkommen weltweit. Kuweit, Qatar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate verfügten Ende 2013 über 41% der nachgewiesenen Rohölreserven der OPEC-Staaten. Dementsprechend ist dieser Sektor für den Export und die Haushaltseinnahmen der GCC-Länder von größter Bedeutung. Die Erlöse der Branche bilden auch die Grundlage für die Entwicklung weiterer Industrien. Die sinkenden Ölpreise könnten das Budget und die Exporte jedoch belasten. Dies könnte zudem das Vertrauen der Investoren erschüttern, da dadurch die Gewinnmargen unter Druck geraten und so Verzögerungen oder die Einstellungen von Projekten zur Folge haben. In Verbindung mit steigenden Break-Even-Werten könnten dies die steigenden Sozialausgaben sowie Investitionen schwer finanzierbar machen und das Wachstum insgesamt belasten.

 
Textil- und Bekleidungsindustrie erholt sich

Die Textil- und Bekleidungsbranche ist eine der traditionellen Industrien in Nordafrika und leis-tet einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigung und Industrieproduktion. In Marokko sind in den Textilbetrieben 40% aller Industriearbeiter beschäftigt. Die Branche erwirtschaftet 10% des BIP und 20% der Exporte. In Tunesien ist der Textil- und Bekleidungssektor der zweitgrößte Exporteur des produzierenden Gewerbes, leistet 19% der gesamten Ausfuhren und beschäftigte im ersten Quartal 2014 7% aller Erwerbstätigen. Die größten Risiken der Branche sind die Konzentration der Ausfuhren auf die europäischen Länder, die Verhandlungsmacht der Abnehmer gegenüber den Herstellern, der beschränkte Zugang zu Krediten und die politische Instabilität.

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